Frauenspuren im Dom
In den letzten Jahren hat sich das alte Thema „Frauen und Kirche“ zunehmend in weiten Bereichen der Kirche verbreitet. Der Verein „Unser Stephansdom“ möchte all jenen, die sich dem Freundeskreis rund um unseren Dom zugehörig fühlen, Themen näherbringen, die in unserer Zeit die Gemüter bewegen. Deshalb wollen wir den „Frauenspuren“ im Stephansdom im Laufe von bald neunhundert Jahren nachgehen, und wir meinen damit nicht nur „heilige“ Frauen. Der Dom erzählt und spricht wie immer zu uns in der Stille durch Zeichen, Symbole und Bilder.
EIN BILD SAGT MEHR ALS TAUSEND WORTE
Die oftmals aufdringliche Überinformation unserer Zeit durch die modernen Medien versorgt uns täglich mit Nachrichten von sehr unterschiedlicher Relevanz. Vielen Menschen ist das bereits zu viel, da Überinformation auf weitere Sicht Verwirrung produziert und das Gegenteil dessen bewirkt, was ihre Aufgabe ist.
Die mittelalterliche Gesellschaft, in der Zeit, da Europas große Dome und so auch unser Stephansdom erbaut wurden, hatte zwar viele Probleme, aber dieses gewiss nicht. Der Radius der einzelnen Menschen war gering, in der Regel reichte er kaum über das Dorf, die Stadt, in der sich das Leben abspielte, hinaus. Die Menschen wussten quantitativ sicher weniger als wir heute, dafür hatte das, was sie behalten hatten, Qualität – sie wussten genug vom Wesentlichen. Die Kirche prägte die Wertvorstellungen der Menschen: Die Bildung im weitesten Sinn lag in ihren Händen, in den Kloster- und Domschulen.
Wr. Neustädter Altar
Auf dem Land war es oftmals anders: Hier war die Kunst des Lesens weniger verbreitet, die Menschen hatten aber genauso den Wunsch nach Wissen um heilsgeschichtliche Zusammenhänge. Ein Ausweg wurde gefunden. „Bilder sind eine Art Schrift für Analphabeten“, fasste es Walahfrid Strabo (+ 849) zusammen. Die Worte Papst Gregors des Großen gaben schon dem frühen Mittelalter eine verbürgte Rechtfertigung für seinen reichen Bilderschmuck: „Dazu werden in den Kirchen Gemälde verwendet, daß die des Lesens Unkundigen wenigstens durch den Anblick der Wände lesen, was sie in Büchern nicht zu lesen vermögen. – Etwas anderes ist es, Bilder anzubeten, etwas anderes, daraus den Gegenstand der Anbetung kennenzulernen. Denn was die Schrift denen bietet, die lesen können, das bietet ein Bild den Gläubigen, die nicht lesen können.“ Diese bildliche Unterweisung wurde noch ergänzt durch volkstümliche Predigten, welche den Gläubigen die notwendigen geistlichen Deutungen dazu lieferten.
Was wissen wir aber nun über heilige und auch „ganz normale“ Frauen im Dom? Wir wollen uns zunächst einmal an der bildlichen Überlieferung orientieren.
IST DER STEPHANSDOM EIN „MÄNNERDOM“? – NICHT UNBEDINGT!
Abgesehen von Maria, der Mutter des Herrn, begegnen wir im Dom nicht gar so vielen heiligen Frauen. Einen Grund dafür kann man bereits in der Schöpfungsgeschichte der Bibel, die Eva die „Schuld“ an Adams Verführung zum Ungehorsam gegenüber Gott zuweist, orten, der dann in der durch Jahrhunderte hindurch männerdominierten Gesellschaftsordnung bis heute in unterschiedlicher Ausprägung weiterwirkte. Die Kirche, als immer lebendiger Teil der Gesellschaft, untermauerte lange Zeit im guten Glauben mit theologischen Argumenten gesellschaftspolitische Realitäten. Erst im Gefolge der Französischen Revolution mit ihrem Gedanken der Gleichheit aller Menschen begann sich, nicht ohne Widerstand, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine allmähliche Änderung des gewohnten Frauenbildes im gesellschaftlichen Gesamtgefüge abzuzeichnen.
Von Anfang an (1137) war die Wiener Stephanskirche, in Erinnerung an ihre Mutterkirche, den Passauer Stephansdom, dem hl. Stephanus, gewidmet. Über die innere Ausgestaltung der beiden ersten romanischen Kirchen (1147, 1263) können wir, mit Ausnahme einer Darstellung der Mutter Jesu mit ihrem Kind, umgeben von einer Gruppe von heiligen Männern, oben auf der romanischen Westempore, sowie einem Fragment einer Kreuzigung mit Maria und Johannes als Assistenzfiguren, nicht viele gesicherten Angaben machen.
Ein erster belegbarer „planmäßiger“ Einzug heiliger Frauen und Männer in den Dom begann im Gefolge der Ausstattung des neuen Chores im Osten, der 1340 feierlich eingeweiht wurde. Seine drei lichten weiten Hallen waren im Norden der Muttergottes, im Süden den Aposteln und in der Mitte allen Heiligen gewidmet. Das Figurenprogramm war, entsprechend der Widmung der Chorschiffe, festgelegt worden. Im Nordchor zogen damals mit Maria, der Mutter Jesu, der Mutter Anna, der Großmutter Jesu, und mit Elisabeth, der Tante Jesu, weibliche Heilige aus der Verwandtschaft mit ein. Begüterte Wiener Ratsbürgerswitwen unterstützten im Hintergrund das große Vorhaben des Chorbaues finanziell mit ihren Testamenten. So stiftete zum Beispiel im Jahr 1328 Gerdraut, Herrn Fridreichs witebe des Saitchoufer „sechs pfunt phennige ze dem werich“ – das war umgerechnet ungefähr der Gegenwert des Lohnes eines Weingartenarbeiters für ein Jahr! Und viele andere taten es ihr gleich.
Im Jahr 1365 veränderte bzw. erweiterte Herzog Rudolf IV. im Zuge seiner Stiftung des Kollegiatkapitels zu St. Stephan das altehrwürdige Patrozinium: St. Stephan wurde, seiner Absicht entsprechend, eine „Allerheiligenkirche“. In der Folge bevölkerten nach und nach verschiedenste Heilige, Männer und auch Frauen, in bunter Reihenfolge, manchmal auch anlassbedingt, in Dreiergruppen angeordnet, die Pfeiler des um 1440 vollendeten spätgotischen Langhauses. Dieses Programm war, im Gegensatz zum Chor, nicht festgelegt und bot viel Freiheit für die einzelnen Stifter und Stifterinnen. Folgt man der sorgsamen Untersuchung von Ilse Friesen über die weiblichen Heiligen von St. Stephan, handelt es sich dabei um 98 männliche und 33 weibliche Heilige. Des Öfteren begegnen uns die drei heiligen „Madln“ Barbara, Katharina und Margareta; Dorothea, Sophia tauchen auf und Maria Magdalena, hier in deutlicher Nähe zum auferstandenen Herrn. Das gewachsene Gesamtprogramm im Hauptraum blieb lange Zeit weitgehend unverändert: Soweit es die Frauen betrifft, haben diese erst im 20. Jahrhundert für unsere Zeit bedeutsamen Zuwachs bekommen, wenn auch nicht an den Pfeilern.
Kaiser Friedrich III., in dessen Regierungszeit im Jahr 1469 das Bistum Wien gegründet und St. Stephan zur Domkirche erhoben wurde, nahm wohl Einfluss auf die Auswahl so mancher Figuren, wie z. B. die hl. Helena und der hl. Andreas vermuten lassen. Auch das Heiligenprogramm des Wiener Neustädter Altares von 1449, eine in Bildern umgesetzte Allerheiligenlitanei, die der Kaiser regelmäßig zu beten pflegte, geht auf ihn zurück: Auf den gemalten Tafelbildern der ehemaligen Sonn- und Feiertags- bzw. Werktagsseite sind insgesamt 72 Heilige angeordnet, entsprechend der Allerheiligenlitanei – die Zahl 72 bedeutet in der mittelalterlichen Zahlenmystik so viel wie „alle“. Und wir sehen sie auch alle hier: Männer und Frauen – unter anderem als Leidende: Achatius, Afra; als freudige Vorbilder: Maria Magdalena, Lucia, Koloman, Christophorus, Martin, Benedikt; als Helfer: Apollonia, Elisabeth, Florian, Fridolin; sie alle, Männer und Frauen, erzählen Lebensgeschichten im Bild. Viele von ihnen gehören zu den 14 Nothelfer*innen und begegnen uns auch im Dom.
Darüber hinaus begleiten und unterstützen die heiligen Apostel und Evangelisten die Neugetauften an der Wand des Taufsteines von St. Stephan. Apostel, Kirchenväter und im Volk bekannte Heilige – und hier auch heilige Frauen – untermauern am Kanzelfuß das oben vom Priester auf der Kanzel dem Volk Verkündete. Und dieselben Heiligen, Männer und Frauen, begleiten die Scheidenden auf ihrem letzten Weg – stellvertretend zu sehen am Friedrichsgrab.
Im Jahr 1511 wurde die letzte Steinschar auf dem Nordturm gelegt, dann wurde der Bau eingestellt. Im 16. Jahrhundert hielten Türkengefahr und Reformation Stadt und Land im Bann. Nach dem Ende der Religionskriege mit dem Sieg des „wahren Glaubens“ um die Mitte des 17. Jahrhunderts erwachte die Begeisterung für den Reichtum des wiederentdeckten alten Glaubens neu und bereitete den Boden für die gewaltigen, von Freude und Hoffnung erfüllten Schöpfungen der Barockzeit. Stifter und Stifterinnen, oft in Bruderschaften verbunden, statteten den alten Kirchenraum nun liebevoll mit neuen Altären, Bildern und Statuen aus. Aber das gesamte Programm der Communio Sanctorum veränderte sich im Großen und Ganzen nicht mehr.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich, nicht ohne Widerstände, eine allmähliche Änderung des gewohnten Frauenbildes auch im gesellschaftlichen Gesamtgefüge deutlich sichtbar abzuzeichnen: beginnend mit dem Grundgedanken der Französischen Revolution von der Gleichheit aller Menschen bis zum allgemeinen Frauenwahlrecht in Österreich, das am 12. November 1918 in Österreich verfassungsrechtlich verankert wurde. Damit nahm eine ganz neue Entwicklung ihren Lauf. Die Kirche (aus göttlichen und menschlichen Elementen zusammengesetzt) tat sich und tut sich damit immer noch schwer. Aber auch die Kirche hat gelernt – der Dom beweist es uns.
Erst durch diese Entwicklung begann zu fehlen, was lange Zeit nicht gefehlt hatte. Wo sind die heiligmäßigen Frauen des vergangenen Jahrhunderts? Jungfrauen und Märtyrerinnen früherer Zeiten hatten ihren festen Platz gefunden, aber wo ist der Platz der „alltagsheiligen“ Frauen von heute im Dom? Die Zeit war reif für einen sichtbaren Einzug von Frauen in den Dom.
Einige von ihnen wollen wir kurz vorstellen: In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts kamen fast zur selben Zeit an ganz unterschiedlichen Orten Mädchen zur Welt, die sich viel später im Wiener Stephansdom zusammenfinden und mit ihren ganz unterschiedlichen Charismen und Denkmälern in Bild, Stein und Metall das vielfältige Bild mutiger heiliger Frauen der Gegenwart bereichern und abrunden sollten. Jede von ihnen hat eine Botschaft, die wir gerade heute brauchen können!
WEIBLICHE „HEILIGE DES ALLTAGS“ DER GEGENWART
Unter der Westempore, nördlich des Haupteinganges: Therese von Lisieux, geboren am 2. Jänner 1873 in Alencon, Frankreich, eine unbeschuhte Karmelitin, ihr Ordensname war: „Theresia vom Kinde Jesus und vom heiligen Antlitz“. Sie trat 15-jährig im April 1888 in den Karmel ein und lebte bis zu ihrem frühen Tod 1897 ganz unspektakulär im Konvent von Lisieux. Sie wurde von Papst Pius XI. im Jahr 1923 selig- und 1925 heiliggesprochen. 1997 erhob sie Papst Johannes Paul II. zur Kirchenlehrerin.
Auf Initiative von Christoph Kardinal Schönborn in den Dom gekommen, lautet ihre Botschaft an uns, Frauen wie Männer: Um „heilig“ zu werden, um ein gelungenes Leben zu führen, braucht es nicht viel: nur Gottvertrauen und die kleinen Schritte des Guten im Alltag. Therese nannte das den „kleinen Weg“, der niemanden überfordert und für alle im ganz normalen Alltag gangbar ist. S
tele an der Nordseite des Choreinganges bei der Vierung: Hildegard Burjan, geboren am 30. Jänner 1883 in Görlitz, Schlesien, in einer jüdisch-liberalen Familie, war eine österreichische Sozialpolitikerin und Gründerin der Schwesterngemeinschaft „Caritas Socialis“. Sie heiratete 1907 Alexander Burjan (+ 1973), konvertierte 1909 zum katholischen Glauben, danach Übersiedlung nach Wien und 1910 Geburt ihrer Tochter Elisabeth. Ab 1918 politisch engagiert, 1919/1920 christlich-soziale Abgeordnete, die politische Verbündete über alle Parteigrenzen hinweg suchte und fand. Sie wurde „Gewissen des Parlaments“ genannt. Am 4. Oktober 1919 gründete sie die Schwesterngemeinschaft CS, die sich bis heute karitativen Aufgaben widmet, vor allem in Pflegeheimen und einem Hospiz. Schon damals forderte sie zum Boykott von Waren auf, die durch Ausbeutung von Frauen zustande kamen. Ihr Seligsprechungsprozess wurde bereits 1963 von Kardinal König eingeleitet – das notwendige Dekret wurde zwar erst 2011 bestätigt, dafür erfolgte ihre Seligsprechung als erste ihrer Art am 29. Jänner 2012 im Wiener Stephansdom durch Kardinal Angelo Amato. Ihre Botschaft an uns ist ihr Lebensmotto: „Das Evangelium durch die soziale Tat verkündigen.“
Nordseite des Eingangsgewändes zur Barbarakapelle: Edith Stein, geboren am 12. Oktober 1891 in Breslau als Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie, Studium der Philosophie und Psychologie, 1922 Übertritt zum katholischen Glauben, 1933 Eintritt in den Kölner Karmel „Maria vom Frieden“, ihr Ordensname lautete: Sr. Teresia Benedicta vom Kreuz. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten aus dem Karmel in Echt (Holland) verhaftet, in das KZ Westerbork und von dort weiter nach Auschwitz gebracht. Sie gehörte zu jenen Gefangenen, die sofort getötet wurden. In ihrem Testament bat sie, ohne die tatsächlichen Umstände zu kennen, „Gott möge ihren Tod annehmen für die Kirche, ihre Familie, ihre Freunde, den Karmel, die Ignoranz der Juden Gott gegenüber, aber auch für Deutschland, damit die Herrschaft des Antichristen ohne einen Weltkrieg zu Ende geht“. Papst Johannes Paul II. sprach sie 1987 anlässlich seines Deutschlandbesuches in Köln selig. 1998 heiliggesprochen, wurde sie ein Jahr später zur „Mitpatronin Europas“ erhoben.
Ihre aktuelle Botschaft an uns lautet: „Der Friede ist nicht durch Schweigen erkäuflich.“
In der Barbarakapelle: Helene Kafka, geboren am 1. Mai 1894 in Hussowitz bei Brno/Brünn, trat mit 19 Jahren der Ordensgemeinschaft der sogenannten Hartmannschwestern bei und nahm den Namen Sr. Maria Restituta an. Nach dem Ersten Weltkrieg kam sie 1919 als Operationsschwester in das Krankenhaus Mödling und brachte es dort bis zur Oberschwester der chirurgischen Abteilung. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 weigerte sich Sr. Restituta, sowohl aus den Krankenzimmern die Kreuze zu entfernen als auch „arische“ gegenüber „fremdrassigen“ Patienten zu bevorzugen. Die Verbreitung zweier von ihr diktierter regimekritischer Texte wurden ihr schließlich zum Verhängnis. Am Aschermittwoch, dem 18. Februar 1942 wurde sie aus dem Operationssaal heraus verhaftet und am 29. Oktober 1942 wegen Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt. Ihre Hinrichtung erfolgte am 30. März 1943 im Wiener Landesgericht durch Enthauptung.
Im Rahmen seines dritten Österreichbesuches sprach Papst Johannes Paul II. Sr. Restituta am 21. Juni 1998 auf dem Heldenplatz in Wien selig. Für den Stephansdom gestaltete der Bildhauer Alfred Hrdlicka eine Bronzebüste, eine überaus ausdrucksstarke Darstellung der Märtyrerin. Auf ihrer Brust trägt Restituta dabei blutrot die Namen der mit ihr hingerichteten kommunistischen Straßenbahner. Ihre sehr aktuelle Botschaft (damals an eine Mitgefangene) heute an uns – Mitmenschlichkeit über alle Grenzen hinweg: „Der Spuk geht vorbei, ich weiß, es geht zu Ende, das viele Leid ist nicht umsonst gebracht. Bleib, wie du bist und kämpf weiter, daß so was nie mehr kommen tut!“
Dr. Annemarie Fenzl, Kardinal-König-Archiv