Am Ziel der Wünsche – St. Stephan wird Metropolitankirche.
Man sieht nur, was man weiß! – Etwas versteckt, hoch oben an der nördlichen Außenwand des Nordchores von St. Stephan, kann man heute noch die Reste des einstmals prächtigen Grabdenkmales von Kardinal Sigismund von Kollonitz (Fürstbischof von 1716–1722, Fürsterzbischof von 1722–1751) erkennen.
Der erste Wiener Fürsterzbischof ist in Form einer qualitätsvollen Büste von Johann Nikolaus Moll aus dem Jahr 1743 – in Verbindung mit einer Inschrifttafel und seinem Wappenschild – dargestellt. Das links daneben befindliche, erhalten gebliebene prächtige Grabdenkmal seines Nachfolgers, Erzbischof Johann Joseph Graf von Trautson (1751–1757), kann uns eine Vorstellung von dem nicht mehr erhaltenen Grabdenkmal des ersten Wiener Erzbischofs vermitteln. Dieses, wie Richard K. Donin 1945 in seiner „Geschichte des Stephansdomes“ vermutet, wurde im Zuge der weiträumigen Restaurierungsarbeiten im 19. Jahrhundert abgetragen und in die heute sichtbare Gestalt gebracht.
Erstmalig berichtet über dieses Grabdenkmal der Chur- und Chormeister von St. Stephan, Joseph Ogesser, in seiner „Beschreibung der Metropolitankirche zu St. Stephan in Wien“ aus dem Jahr 1779 und fügt gleich auch noch eine feine Abbildung dazu. Von ihm kennen wir auch die, der damaligen Zeit entsprechende, in unseren Ohren heute fast ein wenig pathetisch klingende Grabinschrift des 1751 verstorbenen ersten Wiener Fürsterzbischofs, Sigismund Graf von Kollonitz. Sie lautet: „Bleib stehn! Der du immer zum Ende des Lebens eilest! Bleib stehn, sage ich, Wanderer, wenn du kannst, und erzähle den Nachkommen, entweder als Beispiel oder zur Verwunderung von Sigismund Kardinal von Kollonitz, dem Erzbischof, den ein dreifaches Zeugnis für fromm erklärt: der schuldlose Lebenswandel, die Reinheit der Sitten und die eminenten Tugenden. Daher hieß er mit Recht Eminenz, denn seine Tugenden waren eminent, nicht gewöhnlich. Da er so groß war, wurde er im Jahr 1716 Vorsteher der Kirche von Wien und Fürst des Heiligen Römischen Reiches, geschmückt mit der bischöflichen Mitra. Als der Würdigste wurde er durch die Gunst Kaiser Carl VI. als Erster zu Wien mit dem erzbischöflichen Pallium geschmückt 1723. Damit er der Erste und doch im Rang der Zweite wäre, wurde ihm zur Belohnung für seine Verdienste um die Kirche der Kardinalspurpur übersandt 1728. Nachdem er im Jahre 1749 sein Priesterjubiläum am Altare gefeiert hatte und sah, daß die Zeit seiner Auflösung nahe, wollte er seine Kirche nicht verwitwet zurücklassen. Darum wählte er ihr, nicht aus fleischlichen Rücksichten, sondern durch himmlische Erleuchtung als Bräutigam den Joseph (Trautson), den er in der Weihnachtsnacht zum Erzbischof weihte und zum Nachfolger ernannte im Jahre 1750.
Sigismund lebte reich für die Armen, selbst arm, obwohl er reich war; damit er auch nach dem Tode noch Wohltaten spende, hinterließ er im Testament alle seine Güter den armen Waisen. Endlich, nach vollendetem Lebensabend, entschlief er, reich an Tagen und Verdiensten, im Herrn im Jahre 1751 am 12. April nach Mitternacht, im Alter von 75 Jahren: Seiner gedenken alle, vom Größten bis zum Kleinsten und erbeten ihm andächtig die ewige Ruhe.“ Soweit der Text der Inschrift.
Das einst wohl prächtige Denkmal im Nordchor des Domes beschreibt auch Ernst Tomek im zweiten Band seiner „Spaziergänge durch Alt-Wien“ (1948) folgendermaßen: „… man habe dem verstorbenen Kardinal ein herrliches Grabmal von Alabaster und Marmor errichtet. Das dabei befindliche Bruststück ist noch bei seiner Lebenszeit von dem berühmten Donner (Georg Raphael Donner, 1693–1741 in Wien), einer der bedeutendsten mitteleuropäischen Bildhauer seiner Zeit, verfertigt worden. Ogesser bietet uns auch eine Abbildung dieses Denkmales, das vom Boden aufsteigt, zuerst die Inschrift zeigt, darüber erscheint das Ende des Sarkophags mit dem Wappen des Verstorbenen, der Mitra, dem Hirtenstab und dem erzbischöflichen Vortragskreuz. Über beide Stäbe ist das Pallium gelegt. Über dem Sarg steht das Brustbild des Kardinals in einem von Lorbeer umwundenen Oval. Auf der einen Seite des Sarges sitzt eine trauernde Frau (die Kirche), auf der anderen steht eine Frau mit einem Füllhorn (die Fülle seiner Tugenden andeutend?). An der Spitze des Denkmals ist ein fliegender Engel mit der Posaune zu sehen, der jedenfalls den Ruhm des Verstorbenen verkündet.“
Wesentlich nüchterner beschreibt Prof. Hans Tietze im 23. Band der österreichischen Kunsttopographie (1931), die sich mit St. Stephan befasst, das Denkmal. Er korrigiert vor allem die Zuschreibung der Büste des Kardinals nicht als ein Werk Raphael Donners, sondern von Johann Nikolaus Moll. Er schuf die Büste schon 1743, noch zu Lebzeiten des Kardinals. Die Geschichte dieses Grabdenkmales ist zugleich ein anschauliches Beispiel, wie sich im Laufe der Zeit das Erscheinungsbild des Domes unentwegt verändert hat und auch heute noch verändert.
SIGISMUND GRAF VON KOLLONITZ: FÜRSTERZBISCHOF VON WIEN
Aber wer war dieser erste Fürsterzbischof, dem eine solch prächtige Grabinschrift gewidmet wurde? Sigismund Graf von Kollonitz entstammte einer – auch in kirchlicher Hinsicht – bekannten und hochverdienten Familie: Sein Onkel, Leopold Karl Graf von Kollonitz, war eine der Heldengestalten der Verteidiger Wiens im Zuge der Zweiten Belagerung der Stadt durch die Türken im Jahr 1683.
Sigismund Kollonitz, geboren 1677, studierte in Neuhaus in Böhmen bei den Jesuiten, erhielt in Rom den Doktortitel der Theologie und wurde 1699 in Wien zum Priester geweiht. Nach einem Kanonikat in Gran wurde er zum Kaiserlichen Rat, 1709 zum Bischof von Waitzen und 1716 schließlich zum Bischof von Wien ernannt. Glaubt man zeitgenössischen Schilderungen, kam
mit ihm ein echter Seelenhirt, der in seinem Bistum eine Reihe wichtiger
Maßnahmen zur Förderung der Seelsorge traf, der eine große Zahl neuer Gotteshäuser erbauen ließ, der Armenhäuser gründete und auch die Vorstädte nicht vergaß, an die Regierung. Er war es auch, der am 19. März 1732 in Anwesenheit Kaiser Karls VI. (1711–40) das heute noch auf dem Hohen Markt als „Vermählungsbrunnen“ bekannte prächtige Denkmal der Vermählung des hl. Joseph mit Maria, der Mutter Jesu, weihte. Aber der Bischof hatte auch andere, ernste Probleme: Gleich in einer seiner ersten Hirtenworte erließ er acht Verordnungen, die sich vor allem mit Amt und Lebenswandel seines, zu großen Teilen aus Zuwanderern aus den Ländern des Südens zusammengesetzten, Klerus befassten. Er ordnete mindestens einmal jährlich Exerzitien an und setzte einen eigenen geistlichen Rat ein, der seine Anordnungen zu überprüfen hatte.
In seine Regierungszeit fiel nun die Erhebung Wiens zum Erzbistum. Das rasche Bevölkerungswachstum der Haupt- und Residenzstadt Wien (1700: 80.000 Seelen, 1741: 130.000 Seelen) musste Kaiser Karl VI. den Gedanken nahelegen, dass das kleine, seit 1469 in derselben Form bestehende Bistum Wien doch immer weniger einer Reichs- und Residenzstadt entspreche. In einer
Eingabe an Papst Clemens XI. aus dem Jahr 1719 berief er sich daher auf den Rang Wiens und seine Verdienste als Bollwerk gegen die Türken. Darüber hinaus seien für die Errichtung einer Metropole in Wien eine große, schön gebaute Kathedrale mit einem Domkapitel, einer großen Menge Säkular- und Regularklerus sowie eine fast zahllose Volksmenge vorhanden. Alles das war schon länger bekannt, aber Passau, die Mutterdiözese, setzte alles daran, um eine solche Rangerhöhung zu hintertreiben. Und dabei bot St. Stephan in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Tat einen würdigen Hintergrund für dieses wohl bedeutsamste Ereignis im kirchlichen Leben Sigismunds von Kollonitz, des ersten Fürsterzbischofs von Wien.
Nach der endgültigen Überwindung der Türkennot, nicht zuletzt auch durch den Verdienst des Prinzen Eugen von Savoyen, der 1736 in der Gruft der Kreuzkapelle des Domes seine letzte Ruhestätte gefunden hatte, folgte im katholischen Österreich eine kulturelle Blüte im Hoch- und Spätbarock. Das religiöse Leben nahm einen beachtlichen Aufschwung, der sich in einer Neubelebung der Orden und Bruderschaften, der Wallfahrten und Prozessionen bekundete. Kunst und Kultur des Barocks wurden zum sinnfälligen Ausdruck der kirchlichen Erneuerung.
DIE WIENER ERZBISCHÖFE UND IHRE DOMKIRCHE
Die Erhebung Wiens zum Erzbistum im Jahr 1722 und, damit verbunden, die Erhebung St. Stephans zur Metropolitankirche war gleichsam der erwartete nächste Schritt.
Die Wiener Bischöfe und nun, ab 1722 Erzbischöfe, hatten ihrer Bischofskirche naturgemäß schon immer besondere Aufmerksamkeit zugewandt. In der schwierigen Zeit der Auseinandersetzungen um den rechten Glauben erwies sich die Kanzel des Domes als ein bedeutsamer Ort und ein sensibles Instrument. Unvergessen blieb jener denkwürdige Auftritt des lutherischen Predigers Paulus Speratus am 12. Jänner 1522 in St. Stephan, dem der damalige Bischof Georg von Slatkonia die Domkanzel überließ, worauf dieser die anwesenden Mönche und Nonnen zum Austritt aus ihren Klöstern aufforderte.
In ihrer Bischofskirche erfüllten die Bischöfe ihre bischöflichen Aufgaben, wie der Curpriester Joseph Ogesser zum Beispiel über Bischof Philipp Friedrich Breuner (1639–1669) berichtet: „So lang er konnte, verrichtete er selbst alle bischöflichen Ämter. Die ersten drey Jahre trug er mit bloßen Füßen das hochwürdige Gut bei der jährlichen Fronleichnamsprozession; ja er pflegte eben dieses auf solche Weise bei der Nacht zu den Kranken zu tragen. Vom Jahre 1640 bis 1667 hat er 2196 Priester, 1325 Diakonen, 2096 Subdiakonen, 2014 Minoriten geweihet, und 6993 Personen gefirmt.“ Dieser Bischof war es auch, der um das Jahr 1641 mit dem neuen Hochaltar die barocke Ausstattung des Innenraumes von St. Stephan begonnen und sich dafür in große Schulden gestürzt hatte.
Schon im Mai 1647, 500 Jahre nach der ersten Weihe der Stephanskirche, war der neue Hochaltar zu Ehren des hl. Stephanus feierlich eingeweiht worden. Auf persönlichen Wunsch des Kaiserhauses krönte den Altaraufsatz ganz oben anstatt eines Kreuzes eine Statue der Immaculata – denn Maria galt im Kampf für Kirche und Reich als die „Generalissima“, das oberste Kriegshaupt der kaiserlichen Heere. Das Barock kam dann in zwei Wellen in den Kirchenraum: Im Gefolge des frühbarocken Hochaltars schuf Matthias Häckl ebenfalls um die Mitte des 17. Jahrhunderts die neuen
Domherrenstühle. In einer zweiten Welle, dem Hochbarock, wurden die meisten farblich heller gestalteten Altäre des Langhauses über den mittelalterlichen Altartischen aufgerichtet und von Matthias Steindl einfühlsam an die Langhauspfeiler angepasst. Am Beginn des 18. Jahrhunderts war die Altarlandschaft des Langhauses von St. Stephan, ausgehend vom barocken Gnadenaltar „Maria in der Sonne“ und seinem südlichen Gegenstück, dem Josefsaltar, schon wunderbar und reich ausgebildet: Maria, die Siegbringerin, und ihr Bräutigam, der hl. Joseph, der 1675 von Kaiser Leopold zum Patron der Erblande bestimmt worden war, als „Conservator Pacis“, der Bewahrer des Friedens in den habsburgischen Ländern. In dieser Zeit wurde auch die Musik neu geordnet: 1701 die von Josef Römer errichtete berühmte Chororgel, 1720 eine ebenfalls von ihm stammende, aber weniger gut gelungene erste Orgel auf der Westempore.
BAROCKE FRÖMMIGKEIT IN ST. STEPHAN
In seiner 1779 erschienenen „Beschreibung der Metropolitankirche zu St. Stephan in Wien“ zählte Joseph Ogesser 39 Altäre und berichtet auch, soweit ihm bekannt, über Herkunft und Stifter der Altäre. Viele von ihnen wurden von Adeligen, andere von angesehenen Bürgern gestiftet. Die wieder erwachte Freude am Glauben, nach Türkennot und Religionskriegen, hatte sich auch in St. Stephan voll entfaltet und dementsprechend groß war die Anzahl der Gottesdienste. Ein interessantes Detail aus dieser Zeit ist eine Statistik, die ein Mesner von St. Stephan, Johann Wachter mit Namen, im Jahr 1733 über die im Jahr 1732 abgehaltenen kirchlichen Funktionen im Stephansdom zusammenstellte: Er zählte 54.558 Messen, also durchschnittlich 150 Messen täglich; 407 Pontifikalämter, also täglich mindestens eines; 1.095 laut gebetete Rosenkränze und 129.000 Pönitenten. Ab vier Uhr früh löste eine Andacht die andere ab, bis am späten Abend die Rosenkranzandacht mit Gesang und Orgelbegleitung und der darauffolgenden, von Kardinal Kollonitz gehaltenen Abendpredigt und dem Lied der „Bruderschaft der 72 Jünger Christi“ den Tag schloss. In ihrer Bischofskirche beteten die Bischöfe und Erzbischöfe mit ihren Diözesanen, in Zeiten der Freude und der Trauer, zur Unterstützung der österreichischen Armeen in kriegerischen Auseinandersetzungen, für glückliche Entbindungen der Kaiserin, sie feierten Hochämter und Te Deum aus Anlass von allerhöchsten Regierungsjubiläen und andere besondere kirchliche Feste. So wurden gegen Ende des 17. Jahrhunderts zwei marianische Gnadenbilder in großen Triumphzügen nach St. Stephan gebracht: 1693 das spätgotische Bild „Maria in der Sonne“, welches am östlichsten nördlichen Pfeileraltar seinen Platz fand, und 1697 das durch ein Tränenwunder ausgezeichnete Gnadenbild „Maria Pötsch“, vor welchem sich auch in unseren Tagen noch immer Gläubige zum stillen Gebet einfinden und damit eine gute alte Tradition fortführen.
DER PROZESS DER ERHEBUNG ZUM ERZBISTUM
Im Jahr 1722 war es dann so weit: Kraft der Bulle „Suprema dispositione“ vom 1. Juni 1722 erfolgte die Erhebung Wiens zum Erzbistum durch Papst Innozenz XIII. Der gesamte Prozess der Erhebung dauerte insgesamt von 1722 bis 1729. Am 1. Juni 1722 stimmte das Kollegium der Kardinäle dem Beschluss der Konsistorialkongregation zu und unterstellte der neuen Metropole Wien mit Wr. Neustadt gleich ein erstes Suffraganbistum. Am 14. Februar 1723 kamen mit der Erhebungsbulle „Suprema dispositione“ das Pallium und die Palliumsbulle „Cum nos nuper“ nach Wien.
Der eigentliche Festakt fand dann am 24. Februar 1723 bereits in der nunmehrigen Metropolitankirche St. Stephan statt.
Der Erhebung zum Erzbistum folgte nach langwierigen Verhandlungen mit Passau, das natürlich scharf protestierte, am 5. März 1729 die Angliederung des Viertels unter dem Wienerwald mit insgesamt rund 75 Pfarren, die bis dahin zu Passau gehört hatten.
GEBORGEN IN DER BISCHOFSGRUFT
In ihrer Bischofskirche haben die Bischöfe und Erzbischöfe schließlich auch ihre letzte Ruhe gefunden. Die sterbliche Hülle von Kardinal Sigismund Kollonitz, dem ersten Fürsterzbischof von Wien, ist heute in der von Kardinal Theodor Innitzer 1951 initiierten neuen Bischofsgruft unter dem Südchor von St. Stephan geborgen, da im Zuge des Wiederaufbaues nach dem Dombrand und dem Einsturz des Chores die meisten der ursprünglich im Chor bestatteten Bischöfe exhumiert und umgebettet werden mussten. Sein Name bleibt untrennbar mit der Errichtung des Erzbistums Wien verbunden. Oben im Nordchor des Domes erinnern an ihn nur mehr die Reste seines einst prächtigen Grabdenkmales.