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„Sterblich sein“

Rudolfs Grabhülle, ein kostbares Gold-Seide-Gewebe, DomMuseumWien ©Foto: Hertha Hurnaus

Eine Ausstellung über den Tod im Dom Museum Wien

Der Tod betrifft alle. Er ist das Thema der menschlichen Existenz schlechthin. Denn Mensch sein, heißt sterblich sein. Aber auch alle anderen Lebewesen – Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen, selbst Himmelskörper – sterben, vergehen, verglimmen, erlöschen. Die eindrucksvolle und bewegende Ausstellung ist noch bis 25. August 2024 im Dom Museum zu besichtigen.

Der Tod ist im Deutschen nur ein kurzes, abstraktes Wort mit drei Buchstaben. Wenn wir es jedoch hören oder lesen, löst es eine Reihe von Emotionen, Assoziationen und Vorstellungen aus. Denn das menschliche Denken kreist unaufhörlich um den Tod. Um den Tod der anderen, aber auch um den eigenen künftigen Tod: Wann, wie und wo werde ich sterben? Was passiert im Augenblick des Todes? Was folgt auf den physischen Tod oder folgt vielleicht nichts? Wie kann ich mit den Verstorbenen in Verbindung bleiben, ihrer würdig gedenken? Und wie ist der Tod überhaupt vor- oder darstellbar?

Angesichts der ungemeinen Präsenz der Todesthematik, besonders in der christlichen Kunst, verwundert es nicht, dass das Dom Museum Wien über Sammlungen verfügt, die reich an Exponaten sind, die direkt oder indirekt mit dem Tod zu tun haben. Die Tatsache, dass menschliches Leben immer vom Bewusstsein der Sterblichkeit überschattet oder auch – je nach Betrachtungsweise – bereichert wird, zieht sich in vielgestaltiger Weise wie ein roter Faden durch den historischen Bereich der Schausammlung. So spiegelt sich die Beschäftigung mit Sterben, Tod und Jenseits in den Beweinungsgruppen, den Pietàs, den Schmerzensmännern, den Kreuzigungsszenen, den Reliquien und den Epitaphen wider, genauso aber in den Darstellungen von Auferstehung und Himmelfahrt. Dabei geht es zum einen darum, die Endlichkeit des irdischen Daseins im Sinne eines Memento mori durch Kunstwerke stets präsent zu halten. Zum betrachtenden Mitfühlen, als Identifikationsobjekte für alle Trauernden, laden die bis heute ungebrochen berührenden Beweinungsgruppen oder Schmerzensmutter-Darstellungen ein.

Auch die Exponate rund um Rudolf den Stifter berühren die Todesthematik. So vermittelt sein legendäres Bildnis (1360–1365), das als ältestes Porträt des Abendlandes in Dreiviertelansicht gilt, den diesseits orientierten politischen Machtanspruch des jungen Habsburgerherrschers ebenso wie dessen Sterblichkeit. Eine Krankheit führte zum frühen Tod des Stifters in dessen 26. Lebensjahr.

Rudolfs Grabhülle (1319–1335), ein kostbares Gold-Seide-Gewebe aus dem Gebiet des heutigen Iran, steht für den Versuch, auch einen Verstorbenen mit dem Edelsten, was der Mensch hervorbringen kann, schützend zu bedecken und ihn im metaphorischen Sinn über dessen Tod hinweg lebendig zu erhalten. Dass der Stoff heute durch das jahrhundertlange Liegen am Leichnam Rudolfs Spuren des Körperlichen in sich trägt, zugleich aber durch die museale Präsentation die Abwesenheit des Körpers spürbar werden lässt, macht ihn zu einem besonders berührenden Stück.

Der Tod spielt auch in der über 3.000 Werke umfassenden, modernen und weitgehend profanen Sammlung Otto Mauer eine zentrale Rolle. Denn der Domprediger und Kunstförderer erwarb gerade in der frühen Phase seiner Sammlertätigkeit hauptsächlich existenzielle Grafiken von Künstler:innen wie James Ensor, Lovis Corinth, Margret Bilger, Hans Fronius und Alfred Kubin.

Das Dom Museum Wien ist wohl einer der angemessensten Orte, um eine Ausstellung über das menschheitsbestimmende Thema Tod auszurichten. Im Herbst 2023 schien der Zeitpunkt richtig: Nach über zwei Jahren Coronapandemie und nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Jahr 2022 war der Tod für viele Menschen als Bedrohung präsenter als jemals zuvor – etwas, das sich seither durch den Terroranschlag auf Israel im Oktober 2023 noch einmal verstärkt hat. Trotz der Begeisterung ob der elementaren Thematik und der Fülle an Werken zum Tod in unseren Sammlungen, gab es sowohl im Vorfeld als auch im Zuge der Konzeptionsphase immer wieder Zweifel. Schließlich sind trotz der „neuen Sichtbarkeit“ des Todes seit den 2010er-Jahren nach wie vor starke Tabuisierungs-und Verdrängungstendenzen in den auf Erfolg, Jugend und Unversehrtheit ausgerichteten westlichen Industriegesellschaften auszumachen. Wird sich das Museumspublikum am Stephansplatz dem Thema Tod wirklich stellen wollen? Oder will die Mehrheit der Menschen der uns alle betreffenden Sterblichkeit lieber nicht ins Auge schauen?

Wir sind davon überzeugt, dass wir unserem Publikum diese Ausstellung zumuten können, ja sogar müssen, denn zu den Kernaufgaben eines gegenwärtigen Museums gehört es nicht nur, zu unterhalten. Elementare Erfahrungen werden aber nicht durch publikumsträchtige Mainstream-Ausstellungen vermittelt, sondern vor allem durch solche, in denen das verhandelt wird, was wirklich alle etwas angeht. Und das ist nun einmal auch der Tod.

Die räumliche Situierung unseres Museums im Zentrum der Stadt und gegenüber dem Stephansdom, der mit seinen 150 Epitaphien und Grabmälern ein einziges Totengedenken verkörpert, ist geradezu prädestiniert für eine Ausstellung über den Tod. Ganz abgesehen davon, dass der Stephansplatz bis in die 30er-Jahre des 18. Jahrhunderts die größte Begräbnisstätte innerhalb der „babenbergischen Ringmauer“, genannt „Stephansfreithof“, war.

Als Titel haben wir nach langem Ringen „Sterblich sein“ gewählt, weil diese Formulierung perfekt in Sprache fasst, worum es uns in dieser Ausstellung geht. Wir wollen in unserer Schau den Tod nicht vordergründig als das furchterregende „Andere“ des Lebens zeigen, das als großer, unbekannter Gegenspieler eines unbeschwerten Daseins existiert. Vielmehr ist es uns ein Anliegen, mittels Bildern, Skulpturen, Objekten und Videos den Blick auf das Leben zu richten. Dabei wollen wir keineswegs beschönigen, wie bedrohlich der Tod für Einzelne sein mag und wie unvorstellbar und schmerzlich der Verlust geliebter Menschen ist. Ganz zu schweigen vom gewaltsamen Tod durch Krieg oder Mord. Dennoch liegt der Blick auf der Enttabuisierung, auf dem Schaffen von Reflexions- und Handlungsräumen, um dem Tod in all seinen Facetten versöhnlich, vielleicht skeptisch oder ängstlich, möglicherweise auch wütend ins Angesicht zu schauen.

In „Sterblich sein“ erzählen wir, wie in allen bisherigen Ausstellungen seit der Wiedereröffnung im Jahr 2017, keine chronologische Geschichte, sondern arbeiten vielmehr mit Kontrasten und Gegenüberstellungen von Werken unterschiedlichster Kunstepochen. Dadurch versuchen wir, Fragen aufzuwerfen und Assoziationsfelder aufzumachen, die Besucher:innen dazu einladen, sich reflektierend mit dem Thema auseinanderzusetzen, ihnen aber auch einen emotionalen Echoraum zu bieten, um eigene Erfahrungen in Zusammenhang mit der Sterblichkeit des Menschen aufzuarbeiten. Durch die epochen- und medienübergreifende Präsentation soll sichtbar werden, wie sehr sich die einzelnen Konzepte unterschiedlicher Kulturen in Bezug auf Todesvorstellungen stets gewandelt haben und immer noch wandeln und wie stark die künstlerische Darstellung von Sterben, Tod und Trauer mit dem jeweiligen Kunstbegriff einer Epoche verbunden ist.

„Sterblich sein“ ist weder einer einzigen Epoche noch einem einzigen Medium gewidmet. Vielmehr spannt die Ausstellung anhand von Skulpturen, Gemälden, Zeichnungen, Fotografien und Videoinstallationen einen großen Bogen vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Gerade bei dieser Thematik war uns eine Mischung aus Exponaten wichtig, die allgemein menschliche Fragen in Zusammenhang mit dem Sterben ansprechen, etwa den Schmerz ob des Verlustes geliebter Menschen, und solchen, die hochaktuell sind und drastisch darauf hinweisen, dass Tod immer auch in Zusammenhang mit Gewalt und Krieg steht.

Einige Ausstellungsbereiche und Werke erschließen sich emotional unmittelbar. Andere Arbeiten mögen auf den ersten Blick sperriger erscheinen.

Die Auswahl zeigt sowohl Werke aus den historischen Beständen des Hauses als auch aus der Sammlung Otto Mauer Contemporary, umfasst aber darüber hinaus auch hochkarätige Leihgaben aus nationalen und internationalen Sammlungen, Museen, Stiften und Galerien. „Sterblich sein“ bezieht Arbeiten zahlreicher Gegenwartskünstler:innen mit mehreren, zum Teil eigens für die Schau entwickelten oder neu für die Sammlung erworbenen Werken in die Ausstellung ein.

So hat die deutsche Künstlerin Sybille Loew für das Stiegenhaus die Rauminstallation stiller Abtrag (2023) realisiert. Die poetisch-ergreifende, installative Arbeit besteht aus 200 Stoffschildern. Auf ihnen hat Loew Namen, Sterbedatum und Lebensalter von Wiener:innen, die im Jahr 2022 einsam und ohne Angehörige beigesetzt wurden, in stundenlanger Handarbeit mit rotem und schwarzem Garn gestickt. Damit holt die Künstlerin die Toten gedanklich aus der Vergessenheit der Nichtexistenz ins Leben zurück, zumindest für den Moment unserer Ausstellung, denn durch das „Sichtbarmachen“ der Verstorbenen wird die Unerbittlichkeit des Todes ein wenig entschärft. Gemeinsam mit Loew wurde in Fortführung von stiller Abtrag in der Schausammlung hinter dem Bereich „Schenken“ ein Raum eingerichtet, um Besucher:innen eine Möglichkeit zu bieten, einen persönlichen Verlust – ähnlich wie in der Installation – sichtbar zu machen und mit anderen zu teilen.

Wichtig ist uns, vielfältige Blicke auf das Thema zu werfen: Blicke aus Geschichte und Gegenwart, Blicke von Künstler:innen unterschiedlicher geografischer, kultureller, ethnischer, sozialer und genderbedingter Hintergründe. Während die historischen Arbeiten alle von Männern stammen, war es für das kuratorische Konzept zentral, im zeitgenössischen Bereich zahlreiche Werke von Künstlerinnen zu zeigen. Wie stets bei unseren Ausstellungen, ging es uns erneut darum, den eurozentrischen Blick, wie er vor allem in den historischen Werken und Avantgardearbeiten vorherrschend ist, durch den Einbezug gegenwärtiger künstlerischer Positionen aus anderen Teilen der Welt immer wieder auch zu relativieren.

Die Arbeit an dieser Ausstellung und diesem Katalog hat mich als Kunstwissenschaftlerin und Mensch ungemein bereichert und lässt mich vieles im Leben und in der Kunst heute anders sehen als noch vor einem Jahr. Die Möglichkeit, sich auf so tiefgehende Weise mit einem derart existenziellen Thema zu befassen und zugleich so viele Künstler:innen und Expert:innen aus unterschiedlichen kulturellen und sozialen Bereichen kennenzulernen oder erneut mit ihnen zu arbeiten, ist ein großes Geschenk.

Dr. Johanna Schwanberg,
Direktorin Dom Museum Wien

Ausstellung „Sterblich sein“ im Dom Museum

6. Oktober 2023 bis 25. August 2024

Stephansplatz 6, 1010 Wien

Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr,

Montag, Dienstag und gesetzliche Feiertage geschlossen

Cover Vereinszeitung 143/2023, Der Stephansdom im Modell

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